
Wie Corona die Rollenbilder revolutionierte – oder nicht?Die Pandemie fördert die gleichberechtigtere Aufteilung der Kinderbetreuung. Doch den Grundstein zum Umdenken legt sie nicht.
In 14 Monaten mal mehr, mal weniger Lockdown hat sich die Gesellschaft verändert. Corona hat uns alle verändert. Wir haben neue Werte in alten Kleidern entdeckt und schätzen neue Kleinigkeiten, befördern sie teilweise sogar zu großen Sachen. Wir haben ein neues, wenn auch nicht freiwilliges Verhältnis zu unserem zuhause und dem Alltag, der sich dort abspielt, entwickelt. Und so haben wir auch ein Gefühl dafür erhalten, welchen Job Lehrer, Erzieher und Partner jeden Tag meistern und was die Betreuung unserer Kinder tatsächlich bedeutet. Hat das etwas verändert?
Alles oder nichts. Entweder wirft Corona die Rollenbilder um Generationen zurück – oder pusht die Entwicklung
Mit der ersten Schließung von Schulen und Kindergärten begannen die Spekulationen und wissenschaftlichen Erhebungen zu den Folgen dieser Änderungen. Wird die Pandemie zu einer Rückkehr zu alten Rollenmustern führen oder diese revolutionieren? Während es gesellschaftlicher Konsens zu sein schien, dass die Mütter vor einem großen Batzen Mehrarbeit standen und angesichts von Homeoffice, Homeschooling und Kinderbetreuung die großen Verlierer der Krise sein würden, hielten die wissenschaftlichen Studien lange die Waage.
Das hat sich bis jetzt, 14 Monate später, nicht geändert. Erst Anfang Mai berichtete die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, in der Talkshow bei Anne Will von ihrer Befürchtung, dass die Pandemie die deutsche Gesellschaft in der Geschlechterordnung um mindestens drei Jahrzehnte zurückwerfe. Doch auch der gegenteilige Trend wird sichtbar.
Die Pandemie gleicht die Betreuungszeiten an
In Erhebungen aus dem Jahr 2018 und 2020 fragten die Wissenschaftler der Universität Mannheim die Zeit für Kinderbetreuung und Haushaltsaufgaben bei berufstätigen Eltern ab. Das Ergebnis: 2018 steckten Frauen mit 6,6 Stunden noch doppelt so viel Zeit in Haushalt und Kinder, als die Männer (3,3). Kurz nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland waren die Zahlen schon angeglichener. Frauen gaben an durchschnittlich 7,9 Stunden und Männer 5,6 Stunden für Haushalt und Kinder zu benötigen.

Noch immer liegt der Löwenanteil der Betreuung bei den Frauen
Von einem Rückfall in alte Rollenmuster konnten die Wissenschaftler nicht sprechen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nach der Auswertung einer Online-Befragung aus dem Juni 2020, als Schulen und Kindertagesstätten zwar teilweise wieder öffneten, ein Großteil der Carearbeit aber noch immer von zuhause aus geleistet werden musste. Die Befragung zeigt, dass beide Geschlechter ihre Arbeitszeit zugunsten der Betreuung reduzierten, Frauen im Durchschnitt von 32,6 auf 30,9 Stunden pro Woche und Männer von 39,7 auf 36,3. Damit reduzierten die Männer ihre Arbeitszeit prozentual mit 8,5 sogar stärker als Frauen mit 5,2 Prozent.
Dennoch: Noch immer ist die Kinderbetreuung nicht gleichberechtigt und Frauen leisten den Hauptteil der Care-Arbeit. Der prozentual stärkeren Reduzierung liegt eben auch die Tatsache zu Grunde, dass die meisten Frauen eh schon in Teilzeit und Männer in Vollzeit arbeiten. Doch die Arbeitszeit ist auch nur ein Indiz.
Unabhängig vom Job gaben bei einer Onlineumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums durchgeführt wurde, mehr als die Hälfte der Mütter (54 Prozent) und Väter (44 Prozent) an, dass sie durch die Pandemie mehr Betreuungsaufgaben übernommen haben. Aber schon vorher nahm der Anteil der Väter zu, die sich mehr an der Carearbeit beteiligten.
Corona-Entwicklung oder gesellschaftlicher Trend?
Tatsächlich zeigen Erhebungen vom IAB, die vor der Pandemie durchgeführt wurden, dass die Entwicklung schon einige Zeit vorher ansetzt. Zwar übernahmen zwei Drittel der befragten Frauen vor der Pandemie die ganze Betreuungsarbeit, aber immerhin bei 29 Prozent erfolgte die Aufteilung zu gleichen Teilen und bei fünf Prozent übernahm der Mann die ganze Betreuung. Während der Pandemie stieg der Anteil der gleichwertigen Betreuung merklich. In der Feinanalyse fanden die Forscher sogar heraus, dass es die Väter waren, die vorher kaum bis gar keine Betreuung übernommen haben, die sich nun stärker einbrachten.

Ein gesellschaftlicher Trend
Die Zahlen spiegeln Beobachtungen und gesellschaftliche Trends wieder. Immer mehr Väter beteiligen sich aktiv an der Kinderbetreuung. Die Pandemie hat daran nichts geändert, sondern diesen Trend eher verstärkt. Denn es ist das Jahr 2021 und die Pandemie hat eben auch die Väter ins Homeoffice geschickt und ihnen die Realität damit ungeschönt vor Augen geführt. Wie stressig der Alltag mit den Kindern ist, war nun nicht mehr länger eine Frage der weiblichen Auslegung beim abendlichen Schnack beim Glas Rotwein, sondern Realität.

Die Pandemie als Augenöffner
“Ich muss ehrlich sagen, dass mir vorher nicht bewusst war, wieviel Arbeit es bedeutet, die Kinder zu betreuen. Seitdem ich im Homeoffice sitze, bekomme ich es viel intensiver mit und habe großen Respekt vor meiner Frau, die das alles so neben der Arbeit meistert”, sagt Sven, 42 Jahre alt und Vater von drei Kindern. Er habe nicht mehr in seinem Büro sitzen und das “alte Muster” fortführen können. Es musste sich was ändern.
“Ich habe meine Arbeitszeit anders aufgeteilt und wir wechseln uns nun besser ab, damit jeder Zeit findet, um in Ruhe arbeiten zu können.” Dadurch habe er seine Kinder auch anders kennengelernt – im Positiven und Negativen. “Es ist schon etwas anderes, ob man beim Sonntagsausflug nein sagt oder am Frühstückstisch. Ersteres führt zu einer kleinen Diskussion, letzteres zu Krieg”, sagt der 42-Jährige und lacht.
Diese Erlebnisse haben den Bielefelder zu einem gänzlichen Umdenken gebracht, dass weit über die akute Pandemie hinausgeht. Auch danach möchte er sich mehr in die aktive Erziehung und Betreuung der Kinder einbringen und kann sich gut vorstellen, dafür auch seine Arbeitsstunden zu reduzieren. “Letztlich sind die eigenen Kinder das Wichtigste, was wir haben. Kein Job der Welt ist es wert, das Heranwachsen so zu verpassen. Das war mir vor der Notsituation im Lockdown nicht so bewusst.”
Prominente berichten von neuem Familienbewusstsein
Ähnliches berichten zahlreiche Prominente, so auch die Schauspieler Kida Khor Ramadan und Frederick Lau in einem kürzlich erschienenen Zeit-Interview. Am Rande eines Gespräches über den Wert der Nacht berichteten beide Familienväter (Lau hat drei Kinder, Ramadan sechs), wie die Pandemie ihren Alltag verändert hat und davon, dass sie die Zeit mit ihren Kindern inzwischen anders zu schätzen wissen und sich gern intensiver in deren Betreuung einbrächten. Der Perspektivwechsel macht es möglich und findet derzeit in der gesamten Gesellschaft statt.
Also hat die Pandemie am Ende doch etwas Gutes
Die Zahlen geben einen guten Vorgeschmack auf den gesellschaftlichen Wandel, der sich langsam vollzieht. Die alten Rollenmuster sind überholt, die jetzigen Generationen von Eltern treiben den Wandel stetig voran – und zwar unabhängig von der Pandemie. Denn der Wandel hat bereits im Vorfeld eingesetzt. Die Männer, die bereits im Vorfeld große Anteile der Kinderbetreuung übernahmen, taten dies auch während der Pandemie weiter. Aber es kamen weitere Männer hinzu.
Corona fungiert als zusätzlicher Treiber dieser gesellschaftlichen Entwicklung. Natürlich mag manch ein Hardliner jetzt sagen, dass da noch mehr gehen muss und erst von einer Gleichberechtigung gesprochen werden kann, sobald die Balken der Diagramme auf einer Linie sind. Doch das Gendergap schließt sich nur langsam und auch kleine Fortschritte dürfen wir feiern. Und wir feiern euch. Für jede Stunde, die ihr eure Arbeitszeit reduziert. Für jede Kleinigkeit, die ihr zusätzlich im Haushalt übernehmt. Denn steter Tropfen höhlt den Stein und jeder einzelne Tropfen davon baut die Höhle, in der wir in Zukunft leben wollen.