
Stille Geburten – Sterneneltern haben RechteEs fehlt an Aufklärung für Eltern von Sternenkindern in Deutschland – eine Mama erzählt wie sie mit dem Verlust umgegangen ist, was ihr geholfen hat und wie sie nun andere unterstützen will
Wenn Kinder sterben, bevor sie richtig leben durften ist der Schmerz unendlich groß. Vor allem bei den Eltern. Sternenkind-Mama Corinna hat selbst schon mehrere Kleine Geburten (Fehlgeburten) und eine Stille Geburt kurz vor dem Entbindungstermin erlebt. Seitdem engagiert sich die ausgebildete Doula für betroffene Sterneneltern und hat ein Buch darüber geschrieben. Sie erzählt uns ihre Geschichte und wie geholfen werden kann. Sich selbst und anderen.
Aufgeben war keine Option
Ich heiße Corinna Hansen-Krewer und bin 37 Jahre alt. Ich bin Mama von zwei Kindern an der Hand und Sternenmama: Am 08.04.2017 reiste unser zweiter Sohn Jonathan zwei Wochen vor Entbindungstermin aufgrund eines Hämatoms in der Nabelschnur zu den Sternen.
Anschließend hatte ich noch zwei Kleine Geburten (Fehlgeburten) auf natürlichem Weg. Einmal verlor ich eineiige Zwillinge in der 9. Schwangerschaftswoche und einmal kam die Blutung zwei Tage nach positivem Test. Im Endeffekt war ich in einem Jahr ganze 4x schwanger und 1,5 Jahre nach Jonathan’s Tod durfte ich unser Regenbogenmädchen im Arm halten. Ich habe in meinem Leben schon vieles ertragen müssen, aber aufgeben war keine Option, auch wenn ich oft an meinen Grenzen war.
Sterneneltnern brauchen Unterstützung
Stattdessen beschloss ich, laut zu werden für Sterneneltern. Ich begleite seit gut 2,5 Jahren Frauen emotional über ihre Kleinen Geburten (Fehlgeburten). Meine Kleinen Geburten liefen ohne medizinischen Eingriff und praktisch ohne medizinische Unterstützung auf natürlichem Weg ab, obgleich ich inzwischen herausgefunden habe, dass dieser Weg in Deutschland scheinbar eine Ausnahme darstellt: In der Regel werden Frauen (und ihre Parter/innen) nach der Diagnose des fehlenden Herzschlags kaum aufgeklärt. Es erfolgt in den meisten Fällen eine Überweisung zur Ausschabung, die von Patientenseite gar nicht erst hinterfragt wird, weil man verständlicherweise ziemlich unter Schock steht, wenn man erfährt, dass das eigene Kind nicht mehr lebt.
Aussagen wie: „Sie schaffen das ohnehin nicht auf natürlichem Weg“, „Das geht gar nicht ohne Ausschabung raus“, „Sie wissen schon, dass Sie verbluten – oder eine Sepsis bekommen können“ sind typisch seitens der Frauenärzte. Oftmals wird direkt Druck auf die Frauen (wohlgemerkt im psychischen Ausnahmezustand) ausgeübt, indem man fragt, ob ihnen bewusst ist, dass sie ihre Gebärmutter verlieren würden, falls auf dem natürlichen Weg etwas schiefgeht. Die Entzündungsgefahr sei ja ohnehin erhöht.

Auch mir wurde vor vier Jahren eine Überweisung angeboten. Ich war damals sehr irritiert, denn ich hatte zu diesem Zeitpunkt erst vor einigen Monaten meinen Sohn mit 54 cm tot geboren – auf natürlichem Weg und ohne PDA. Für mich und meinen Körper stellte sich gar nicht die Frage, ob es auf natürlichem Weg möglich sei. Ich lehnte die Überweisung ab. Wir hatten alle Eventualitäten durchgesprochen und ich fühlte mich sicher, als ich nach Hause fuhr.
Auffangen statt Ausschaben
Abends verabschiedete ich mich von meinen Kindern, legte mich auf die Couch, schloss die Augen, ließ in Gedanken mit den Händen auf meinem Bauch meine Liebe, Energie und Wärme zu meinen Kindern fließen und sagte ihnen, dass sie nun loslassen dürften. Ich versprach, sie aufzufangen und DA zu sein.
Es war wie im Märchen, es dauerte keine Minute, als es anfing in meinem Bauch zu gluckern und schon hatte ich die erste Wehe. Ich stand auf und merkte, wie es losging.
Ich war aufgeregt, aber es war OK. Es war mein Weg. Unser Weg. Der Weg meiner Kinder und mir. Drei Wehen in kurzen Abständen, schon hatte ich das Gefühl, zu pressen. Einmal, zweimal und ich gebar im Stehen eine vollständig gefüllte Fruchthöhle in meine Hände. Ich war erschrocken und zugleich total fasziniert, zu was ich und vor allem mein Körper in der Lage waren.

Einen Tag später wurden unsere Kinder im Grab ihres Bruders beigesetzt. Das, was man in Deutschland ohne bürokratischen Ablauf eigentlich nicht darf – aber das war mir egal. Unsere Kinder waren nun beisammen und das gab mir Frieden in mein Herz.
Stille Geburten
Mit der Zeit traf ich immer wieder auf Frauen, die vor ihrer Kleinen Geburt standen, sie fragte mich um Rat und ich stand ihnen zur Seite. Ich war eine emotionale Stütze auf einem ganz besonderen Weg, auf dem leider viele Sternenmamas medizinisch allein gelassen und vor allem unter Druck gesetzt werden. Als Doula (Nichtmedizinische Geburtsbegleiterin) begleite ich, bereite die Frauen vor, wir besprechen die Umstände, den Ablauf, eben das, was auf sie zukommt.
Ich habe mir durch meine Erfahrungen Verabschiedungsrituale erarbeitet, die ich den Frauen erkläre, so dass sie die verbleibende Zeit MIT ihrem Kind gemeinsam für Erinnerungen nutzen können. Denn es ist wichtig, dass anerkannt wird, dass dieses Kind da war, dass es da sein darf und dass der Weg – auch wenn er ein kurzer sein würde – achtsam und selbstbestimmt gegangen werden darf. Und zwar so, dass jeder am Ende stabil aus dieser Situation rausgeht und sich nicht im Endeffekt vorwerfen braucht, vorschnell und unüberlegt gehandelt zu haben. ZEIT ist ein wichtiger Aspekt. Und Entscheidungen, egal in welche Richtung, müssen in Ruhe getroffen werden.
Mein Weg der Aufarbeitung
Um meine Erfahrungen weiterzugeben, fing ich an zu schreiben und zu recherchieren. Vor gut 3 Monaten habe ich ein recht besonderes, 400-seitiges Buch rausgebracht. Das Schreiben tat mir gut und stellte eine Art Verarbeitung für mich dar. Im Buch erzähle ich unsere Geschichte, zeige viele, teilweise sehr traurige, aber einfach wunderschöne Fotos und erzähle, wie ich es geschafft habe, das Ganze zu überleben.
Ein Netzwerk für Betroffene
Ich habe mir ein Netzwerk aufgebaut mit Sternenelternvereinen, Trauerbegleitern, Bestattern, Hebammen uvm., die ich alle in meinem Buch zu Wort kommen lassen wollte. Mir war es wichtig, alle Seiten zu beleuchten.
Durch den Austausch mit Sterneneltern war mir bewusst, dass es leider gerade im medizinischen Bereich heutzutage sehr viele Missstände gibt. Eltern berichteten von Gewalt unter der Geburt ihres toten Kindes, erzählten mir von gestresstem Klinikpersonal, welches Druck ausübte, weil die Geburt nicht schnell genug ging. Man hätte ja mit den Lebendgeburten schon genug zu tun. Kinder landen auch heutzutage noch im Klinikmüll oder werden teilweise in einem Gefäß (!) gesammelt, bis sie anschließend gemeinsam beerdigt werden können. Manche Kinder verschwinden im Klinikalltag. Das hat sogar eine Studie der Hochschule Luzern bestätigt.
Klinikpersonal berichtete auch, dass ihnen nicht nur eine fundierte Ausbildung für die Betreuung von Sterneneltern fehlen würde, es gäbe praktisch auch kaum Fortbildungsmöglichkeiten, geschweige denn Unterstützung durch die jeweiligen Kliniken. Medizinische Angestellte beschreiben in meinem Buch teilweise schreckliche Behandlungen von Eltern, die ihre Kinder tot zur Welt bringen mussten, die sie selbst als Personal kaum ertragen konnten.
EMOTIONALER HALT und Aufklärung fehlen nachweislich in allen Bereichen.
Außerdem fehlt es in Deutschland an Leitlinien für den Umgang mit frühem Schwangerschaftsverlust auf natürlichem Weg, es gibt keine Statistiken – man lässt die hohe Zahl an Fehlgeburten und die noch viel erschreckendere Zahl an Ausschabungen unter den Tisch fallen.
Offizielle Stellen (wie beispielsweise das Statistische Bundesamt etc.), die ich telefonisch und per E-Mail anfragte, konnten mir keine validen Zahlen nennen. Ich frage mich, weshalb es in Deutschland praktisch für jedes Thema Verträge, Paragraphen und Gesetze gibt, hierbei aber scheinbar niemand hinterfragt, warum die Zahlen der abgerechneten ambulant betreuten Kleinen Geburten so gering waren, wohingegen die Zahlen an Ausschabungen in Krankenhäusern eskalierten.
Wir brauchen mehr Aufklärung – nicht nur für Sterneneltern
Ich wünsche mir mehr Aufklärung des medizinischen Personals, ein Hinterfragen des natürlichen Vorgangs und eine Reflexion darüber, was es mit der Psyche macht, wenn den Frauen und Sterneneltern die Zeit des Abschieds durch zeitlichen sowie emotionalen Druck genommen wird. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, welche Auswirkungen es auf die Verarbeitung haben kann, wenn man Entscheidungen im Ausnahmezustand treffen muss.
Ich wünsche mir ein Hinschauen und Hinterfragen alternativer Möglichkeiten neben einem (inzwischen standardisierten) operativen Eingriff, der natürlich auch jede Menge Risiken birgt. Medizinisches Personal möchte ich ermutigen, vom Standard, der sich scheinbar über Jahrzehnte im gynäkologischen Bereich eingependelt hat, abzusehen und stattdessen jeden Fall individuell zu betrachten. Meiner Meinung nach ist eine Betreuung über eine Kleine Geburt auf jeden Fall machbar – Entzündungswerte, HCG und eine Überwachung des Eisenwerts kann durch eine Blutkontrolle vom Frauenarzt gewährleistet werden, die Temperatur kann die Frau persönlich regelmäßig kontrollieren.
Den Frauen wünsche ich Mut, in den eigenen Körper reinzuspüren, dem eigenen Urinstinkt und Bauchgefühl zu vertrauen und sich bewusst zu machen, dass eine Geburt selbstbestimmt und in Ruhe stattfinden darf. Und das geschieht eben nur unter entspannten und aufgeklärten Umständen, die man sich jedoch nach der Diagnose des fehlenden Herzschlags, erst wieder aneignen muss. Bestenfalls mit guter medizinischer und emotionaler Betreuung, ohne Stress, Angst und im Vertrauen gegenüber dem eigenen Körper und dem gemeinsamen Weg mit dem eigenen Kind.

Hier bekommst du Corinnas Buch: „Stille Geburten sind auch Geburten und Sterneneltern sind auch Eltern“
Willst du mehr zu dem Thema erfahren? Lies auch unseren Artikel: Die Geschichte einer Fehlgeburt und die Gefühle, die sie auslöst.
Titelfoto: Lucie Raul-Wagner