
Wann ist ein Kind ein Schulkind?Team Kolumne - Zu früh, zu spät – gibt es eigentlich den richtigen Zeitpunkt für die Einschulung?
Tanya Neufeldt, Gründerin und Geschäftsführerin der Social Moms, erzählt uns von den großen und kleinen Entscheidungen als Mama.
„Ich bin noch immer sauer auf meine Mutter“, sagt mein Sohn, während wir mit einem seiner Freunde von der Schule nach Hause laufen. „Eigentlich wäre ich jetzt in der 5. Klasse, aber die wollte mich nicht in die Schule lassen, darum bin ich erst in der 4.“ Ich atme tief ein. Und wieder aus. Und verkneife mir die Rechtfertigung. Obwohl es mir jedes Mal auf der Zunge juckt.
„Wer Zahlen von Buchstaben unterscheiden kann, der ist schulreif.“
Mit seinem Geburtstag Ende November ist mein Sohn ein sogenanntes Kann-Kind. Beim Schultest meinte die Ärztin: „Der kann auf einem Bein stehen, der kann in die Schule!“ Ich aber entgegnete: „Nein.“ Warum? Weil ich meinen Sohn einfach am besten kenne. Es war mir klar, dass er sich im Kindergarten, wenn alle seine Freunde in die Schule weiterziehen würden, unglaublich langweilen würde. Aber ich wusste auch, dass ein straff geregelter Schulalltag ihn an seine Grenzen bringen würde. Oder eben weit darüber hinaus. Ja, er war damals schon sehr wissbegierig. Aber eben nur 15 Minuten lang, dann wollte er wieder spielen. Ja, er konnte auf einem Bein stehen. Aber dann wollte er auch wieder kuscheln. Und warum sollte ich ihm das alles nehmen, wenn es doch gar nicht notwendig war?
Wohin genau rennen wir denn?
Das war die Frage, die immer wieder in meinem Kopf pochte, wenn mich andere darauf hinwiesen, dass er doch clever ist und „das schon irgendwie packen wird“. Natürlich würde er das irgendwie packen. Aber zu welchem Preis? Worum genau geht es eigentlich im Leben? Um „das irgendwie Packen“? Um höher, schneller, weiter zum Ziel? Aber was macht man dann, wenn man ganz schnell am Ziel ist? Das sind natürlich philosophische Lebensfragen, die jeder nur für sich selbst beantworten sollte. Oder auch nicht. Aber für mich waren sie bei der Entscheidung rund um die Einschulung eminent wichtig.
Vorschule – die beste Entscheidung. Für mein Kind.
Wir haben uns dann für die Vorschule entschieden. Unser kleiner Hippie-Kindergarten bot leider keine an, aber der Wechsel war psychologisch für ihn großartig – er verließ den Kindergarten zeitgleich mit seinen Freunden. Das war die beste Entscheidung. Für uns alle. In der Vorschule wurde er immer wieder gefordert und gefördert, hatte aber auch die Möglichkeit zu atmen, zu spielen. Kind zu sein. Und konnte so in seinem Rhythmus langsam in den Schulalltag wachsen. Am Ende des Jahres war er so reif für die Schule, dass er es kaum erwarten konnte, endlich eingeschult zu werden. Das war ein Jahr früher nicht denkbar. Ist mein Weg der richtige für alle Kinder? Auf gar keinen Fall. Eine Freundin hat ihren Sohn mit fünf Jahren eingeschult. Ursprünglich dachte sie eher an Rückstellung als an frühe Einschulung. Aber ihr Sohn langweilte sich so sehr, dass sich die Balken bogen. Er fragte nach Matheaufgaben und brachte sich aus lauter Langeweile selbst das Lesen bei. Drei Tage vor Schulbeginn meldete sie ihn dann doch noch schweren Herzens an. Es war die beste Entscheidung, die sie für ihn treffen konnte. Für meinen Sohn wäre es eine Katastrophe gewesen.
Die Starrheit der Systeme
Kein Mensch ist wie der andere. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus, seine eigenen Grenzen, Stärken, Schwächen – sein eigenes Timing. Wir leben leider in einer Gesellschaft, die dafür wenig Raum vorsieht. Ich glaube, es ist mit das Wichtigste, sich diesen Raum zu schaffen, wo es nur geht – für sich, für seine Kinder, für seine Familie.
Auch wenn mein Sohn mich unfassbar doof findet und mich regelmäßig verflucht und beschimpft, weil ich ihn nicht früher eingeschult habe, ich glaube, er wird es mir irgendwann danken. Also, hoffe ich. Und wenn nicht, dann habe ich trotzdem auf mein Bauchgefühl gehört. Und auch auf die Gefahr hin, dass ich mich anhöre wie meine Großmutter: Wenn er mal Vater wird und es um die Einschulung seiner Kinder geht, dann reden wir nochmal…
VON MIR FÜR DICH
Bei diesem Thema gibt es kein Richtig oder Falsch – aber es gibt DEIN Kind und DEINEN Blick auf seine Entwicklung und seine Möglichkeiten. Kindheit gibt es nur einmal und Schulzeit auch, warum nicht beides auskosten und bestens gerüstet sein? Sieh genau hin, hör tief in dich hinein – dort wartet die Antwort schon auf dich.
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