
Eltern werden, Paar bleibenWie können wir Beziehungstücken beim Eltern werden umgehen? Gastautorin Carmela berichtet von ihren ganz persönlichen Erfahrungen im Leben nach der Geburt und hat einen konkreten Lösungsvorschlag
„Eltern-werden ist nicht schwer, Eltern-sein plus Paar-bleiben dafür umso mehr“, könnten es genauer auch lauten. Die Frage „Wie wirkt sich Geburt und Wochenbett auf die Beziehung der Eltern aus?“, hat sich der ein oder andere vielleicht schon gestellt, häufig jedoch ist das kein allzu präsentes Thema vor der Geburt. Bei Gastautorin Carmela Dentice war das vor dem ersten Kind genauso. Als der Wunsch für das Zweite aufkam, machte sie sich hingegen viele Gedanken, was nun aus ihrer Partnerschaft werden würde. Denn sie hatte in der Extremsituation nach der Geburt bereits einmal schlechte Erfahrungen gemacht auf die eine Trennung folgte. Carmelas Tochter kam vor 10 Jahren zur Welt und ihr Sohn ist nun wenige Wochen alt. Dazwischen lag nicht nur die Trennung und eine Zeit des Alleinerziehend-seins, sondern es begann auch eine neue Partnerschaft. Wie schwer die Zeit damals war erzählt Carmela heute bei uns und reflektiert sehr genau, was die Hürden des Paarseins beim Eltern werden waren und sind und wie sie umgangen werden können.


Die Geburt eines Kindes verändert eine Partnerschaft nachhaltig
Meistens ist uns nicht bewusst, wie sehr. Auch wenn die Geburt eines Kindes in der Regel ein Anlass großer Freude ist, birgt sie zusätzlich besondere Thematiken in sich, die mit dem Baby auf die Welt kommen.
Werdende Eltern werden in Geburtsvorbereitungskursen intensiv auf die Geburt und das Kind vorbereitet, aber die innerpartnerschaftlichen Veränderungen werden kaum angesprochen und dass, obwohl ein Kind eine starke Herausforderung für die Beziehung darstellt. Durch die fehlenden Informationen wird oft unterschätzt, welche psychischen und physischen Belastungen auftreten (können) und wie ein Grundwissen darüber, das Verständnis der Partner füreinander stärken kann. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten viel passiert ist und in Deutschland beide Elternteile die Möglichkeit haben, Elternzeit zu nehmen, so ist noch einiges zu tun, um eine offene und konstruktive Konversation über die Hürden des „Eltern werdens“ zu haben.
Meine erste Erfahrung als Paar und Mutter
In meinem besonderen Fall habe ich mein erstes Kind vor knapp einem Jahrzehnt mit meinem Ex Partner bekommen und ich war absolut nicht auf den Sturm vorbereitet, der da auf mich zukam. Ich steckte zu der Zeit gerade im zweiten Jahr meines Medizinstudiums und machte Bekanntschaft mit einem enormen Gefühl der Einsamkeit und des Unverständnisses für meine Situation, was ich so bisher nicht kennengelernt hatte. Seit dem Bekanntwerden meiner Schwangerschaft passierten Dinge, die für mich bis dato unsichtbar gewesen waren, weil ich nie in den Schuhen einer werdenden Mutter gesteckt habe.
Die Erwartungen anderer
Ein Großteil meiner Kommiliton:innen wandte sich schweigend ab, da die Angst groß war, ich könne bei wichtigen Prüfungen als Gruppenmitglied fehlen. Ich wurde ständig von einigen Professoren daran erinnert, dass man nicht Rücksicht auf mich nehmen könne und nach der Geburt, wurde mir unmissverständlich klar gemacht, dass ich zusehen muss, wie ich Kind und ein Medizinstudium unter einen Hut bekomme und möglichst, ohne mich darüber zu beklagen oder gar für meine Rechte laut zu werden. Man erwartete von mir, möglichst bald voll zu funktionieren und ich stand da, ohne zu wissen wie man als Mutter in einer Gesellschaft zu funktionieren hat, die sich bemüht, Eltern und vor allen Dingen Mütter, unsichtbar zu halten.
Auch in meinem privaten Umfeld erlebte ich wenig Verständnis für die physiologischen Vorgänge der Schwangerschaft und des Wochenbetts. Bis heute wissen viele meiner Mitstudent:innen und teilweise Ärzt:innen nicht, was für Regenerationsprozesse nach der Geburt vor sich gehen und wieso diese eine Herausforderung für die Psyche und für die zwischenmenschlichen Beziehungen darstellen. Das Fach Gynäkologie war bei uns unerhört kurz gehalten und auf die psychischen Vorgänge, die ja durchaus ein Großteil der weiblich gelesenen Bevölkerung durchmachen, wurde nicht eingegangen. Auch nicht in dem viel zu kurz gehaltenen Fach Psychologie. Aber das ist ein Thema, dass vermutlich einen anderen Artikel füllen würde und in diesem soll es um die innerpartnerschaftlichen Veränderungen gehen.
„Du wirst deinen Partner noch mehr lieben als vorher.“
Bevor ich zum ersten Mal Mutter wurde, hörte ich Sätze wie: „Du wirst deinen Partner noch mehr lieben als vorher.“
Ich weiß nicht, warum ich nicht näher nachfragte und warum ich all das glauben wollte. Es war nämlich nicht so, als hätte ich keine Warnzeichen in meinem nahen Umfeld gesehen. Ich hatte mehr als einmal wahrgenommen, wie die Essenz einzelner Paare verloren gegangen zu sein schien und diese Sätze aus erschöpften Mündern mich nicht überzeugten.
Entfremdung in der Partnerschaft
Ich weiß nicht, wann die Entfremdung mit meinem Ex Partner genau begonnen hatte, aber ich weiß noch genau, wann ich entschieden hatte, zu gehen. Es war der Moment, an dem es in mir keinen Zweifel mehr gab, dass der Groll, den mein Partner mir gegenüber spürte, größer war, als sein Wunsch sich mit mir zu verbinden und damit auch all die Wertschätzung, Nähe, das Mitgefühl und der Respekt geschwunden waren.

Mein neuer Partner wünschte sich ein Kind. Und nun?
Viele Jahre später und mit neuem Partner, stand ich erneut vor der Kinderfrage. Mein jetziger Mann, noch kinderlos, wünschte sich Nachwuchs mit mir und ich haderte lange. Ich haderte nicht aufgrund meiner Tochter aus erster Ehe, die für mich das zauberhafteste Wesen auf der Welt ist und mir erst wieder ermöglicht hatte, mich selbst und meine Bedürfnisse besser wahrzunehmen.
Auch hatte ich keine Angst vor dem Verlust von Freundschaften. Die Freunde, die geblieben waren, hatten mich gelehrt, was Freundschaft bedeutet: eine Verbundenheit, die sich strecken kann, obwohl man sich an unterschiedlichen Orten oder Phasen des Lebens befindet, ohne dass diese Bindung reißt.
Ich haderte nicht wegen des Studiums, welches ich aufgrund meiner Zeit als Alleinerziehende lange pausieren musste oder wegen meiner Jobs, die mich über Wasser gehalten hatten, auch wenn all dies Gründe waren, die mir die Entscheidung zusätzlich schwer machten.
Wenn ich ehrlich bin, haderte ich vor allen Dingen, weil ich die unerträgliche Entfremdung, die ich in einer Partnerschaft erlebt hatte, nicht erneut erleben wollte.
Ich wollte nicht all die Dinge in den Augen meines Partners sehen, die mich schon einmal aus anderen Augen angesehen hatten. Ich wollte nicht erleben, wie wir langsam eingehen, unsere gemeinsame Sprache verlernen und plötzlich unfähig werden würden, uns zu verständigen.

Wie sehr kann ich mich verbiegen ohne mich selbst zu verlieren?
Bis heute sage ich immer wieder, dass man jeden Tag in einer Beziehung evaluieren muss, wie sehr man sich dem anderen hinbiegen kann, ohne selbst zu zerbrechen. Denn auch wenn dies eine vielleicht unbequeme und wenig romantische Ansicht ist, geht es in einer Beziehung vor allen Dingen darum, Differenzen zu überbrücken, ohne dass einer der beiden ins Wasser fällt und dabei untergeht.
Schwangerschaft und Wochenbett sind häufig der Geburtsort von Groll in einer Beziehung und der Übergang zum Elternsein führt häufig zu einer Dynamik zwischen den frisch gebackenen Eltern, die gepaart mit Dingen wie chronischem Schlafmangel und dem Fehlen der Zweisamkeit, schnell zu Unmut auf beiden Seiten führen kann. Niemand ist auf so einen Cocktail vorbereitet und selbst die größte Vertrautheit kann verloren gehen, so dass man das Gefühl hat, vor einer fremden Person zu stehen. Eine neue Verwundbarkeit tritt in die Umgebung des liebenden Paares und man sieht sich einer, bisher unbekannten, Dimension von Stress und Druck ausgesetzt.
In meinem Fall hatte mich die Erfahrung mit meinem Ex-Partner einiges gelehrt
Mir war hart vor Augen geführt worden, wie schnell es zu Missverständnissen kommen und wie rasant sich das Gefühl fehlender Wertschätzung auf beiden Seiten ausbreiten kann. Die Beziehung wird überstrapaziert und plötzlich glaubt man, man hatte nie eine gute Partnerschaft. Ich habe gelernt, dass Schwangerschaft und Wochenbett oft Dinge auf den Beziehungstisch holen, die nie wirklich gelöst wurden und sich bei der Anbahnung eines neuen Lebens zeigen, um angegangen zu werden. Das sind Dinge, die in der Beziehung ungelöst mitgelaufen sind.
Vor allem sind es aber auch Themen aus unserer eigenen Vergangenheit, die sich als Grundannahmen fest verankert haben und die wir leider oft unreflektiert abspulen.

Glaubenssätze begleiten häufig das Eltern werden
Die Geburt eines Kindes katapultiert uns oft zurück in unsere persönliche Geschichte und kann Gefühle in die Gegenwart holen, die seit langer Zeit angesehen und anerkannt werden möchten. Oft leben wir unbewusst eine Narrative, die uns in jungen Jahren geprägt hat. Zum Beispiel: Angst vor dem Verlassen werden, aufopferungsvolle Mutter, die alles allein macht und sich nie beklagt, Ärger runterschlucken, kein gesunder Zugang zu der eigenen Wut, abwesender Vater, etc.. Es ist aber nicht leicht, diese Narrative zu hinterfragen denn das erfordert Verwundbarkeit. Niemand zeigt sich gerne verwundbar und niemand ergründet gerne potenziell schmerzhafte Tiefen in sich selbst.
Situationen, in denen ich mich verletzlich zeigen muss, in denen ich mich öffnen muss, flößen mir bis heute Angst ein und ich fühle mich schnell ausgeliefert. In beiden Schwangerschaften haben mich diese Empfindungen in besonderem Maße eingeholt, denn im Körper und in der Psyche der Frau passiert unglaublich viel. Ich habe mich schnell überwältigt gefühlt von dem Gefühlschaos, den Ängsten und Sorgen um das Baby, die Schwangerschaft, die Zukunft und den Veränderungen des Körpers, die der Partner nur von außen betrachten, aber nicht 1:1 so erleben kann, wie man selbst.
Zur gleichen Zeit musste ich mich rasant auf diese neue Version meiner selbst einstellen und das war oft gar nicht so leicht. Gerade die körperlichen Veränderungen machten mir zu schaffen und die Angst wuchs, für meinen Partner nicht mehr anziehend zu sein.
Ballast, den ich noch aus alten Zeiten mitschleppte. Ballast, der mich emotional stresste. Dazu kam das unmögliche Unterfangen, wissen zu wollen, was auf einen zukommt und zu versuchen, alles plan und kontrollierbar zu machen. Doch da haben Geburt und das Leben was gemein: beide sind nicht wirklich plan und kontrollierbar. Das löst Ängste aus und Angst erzeugt Stress.
Jede Person hat in seiner persönlichen Biografie einen Weg finden müssen, durch den Stress zu navigieren, den Verwundbarkeit auslösen kann. Meist ist der Umgang damit, wie so vieles, tief in unserer Kindheit verankert und geprägt von den erlebten Erfahrungen in unserer Vergangenheit. Oft ist uns dies aber nicht bewusst. Wenn ich mich verwundbar fühle, spüre ich vielleicht ein Bedürfnis nach Nähe. Ich möchte meinen Partner um mich haben und seine Gegenwart und Aufmerksamkeit spüren. Mein Partner kann hingegen diese Gefühle vielleicht besser verarbeiten, in dem er sich auf Aufgaben fokussiert, Dinge unternimmt und seinen Freiraum sucht.
Herausforderungen gekoppelt mit unterschiedlichen Bedürfnisse können zu Spannungen führen
Solch unterschiedliche Bedürfnisse in einer herausfordernden Zeit, können schnell zu scheinbar unüberwindbaren Spannungen führen und die Bereitschaft senken, sich dem anderen verwundbar zu zeigen und ehrlich über die eigenen Gefühle, Ängste, Sorgen, Gedanken und vor allen Dingen Bedürfnisse selbst sprechen zu wollen.
In meinem Fall gesellte sich schnell ein Gefühl von Einsamkeit hinzu und ich fühlte mich alleingelassen. Ich fühlte uns nicht mehr als Team, sondern es wurde zu einer Art seltsamen Wettkampf, in dem nur beide verlieren konnten. Wer hat weniger geschlafen, wer musste öfter aufstehen, wer hat öfter gewindelt… die Liste ließe sich unendlich fortführen.
Die Angst verletzt zu werden steht uns im Weg
Mich meinem Partner gegenüber verwundbar zu zeigen, wenn ich die Verbundenheit zu ihm gerade nicht spüren kann, mit ihm offen zu kommunizieren und mich ihm mitzuteilen, wirft die Möglichkeit auf, verletzt zu werden aber eben auch die Möglichkeit, Teile in uns und unserer Partnerschaft zu heilen, die Heilung bedürfen. Scham, Sorge vor Zurückweisung, Angst vor dem unbekannten Ausgang, stehen uns dabei im Weg. Eine Angst, die uns daran hindert, die Neugier aufrecht zu erhalten, die es bedarf, uns neuen Erfahrungen zu öffnen und sie in unser Leben zu lassen. Erfahrungen, die selbstverständlich auch weh tun können, aber die uns auch all die heiligen, zarten, flüchtigen und doch unvergesslichen Momente tiefer Verbindungen schenken konnten, die wir als Schätze im Herzen tragen und die der Nährboden unserer Beziehung zueinander sind.
Tiefe Verbindung ist nur möglich, in dem ich die Bereitschaft aufbringen kann, mich dem anderen gegenüber zu öffnen, durch den Schmerz und das Unbehagen hindurchzuatmen und mich dem Leben gegenüber zu öffnen. Ähnlich einer Geburt.
Offene Kommunikation – auch sich selbst gegenüber
In meiner jetzigen Beziehung habe ich früh damit angefangen, meine Gefühle, Ängste und Vorbehalte zu kommunizieren und damit meine eigenen Grundannahmen auf den Prüfstand zu stellen und zu hinterfragen, woher diese Gefühle eigentlich kamen. Auch und gerade, wenn es mir Unbehagen bereitete. Ich hatte nämlich schmerzhaft lernen müssen, dass nicht artikulierte Gefühle sich stauen und keinen Raum lassen, für Mitgefühl, Nähe und Vergebung.
Das Leben hat mir eine zweite Möglichkeit geschenkt, die Schwangerschaft und das Wochenbett neu zu erleben. Auch wenn diese beiden oft der Geburtsort von Groll sein können, so können sie aber auch der Geburtsort einer tiefen Verbindung sein. Man muss nur den Mut aufbringen, tief durchzuatmen und den ersten Schritt zu machen.
Fotocredit: @selflovephotography_
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