
5 Minuten mit LUCIEKOLUMNE #3 - Unsere Gründerin Tanya aka Lucie Marshall erzählt von einem anregenden Abend mit Jesper Juul
Wer ist Lucie Marshall?
Was rettet einen im Alltag mit Kindern? Ganz genau. Der Humor. Aus diesem Grund hat unsere SOCIAL MOMS Mitgründerin Tanya ihr Alter Ego “Lucie Marshall“ ins Leben gerufen. Da war ihr Sohn knapp 2 Jahre alt ist. In den Kolumnen erzählt Lucie von den kleinen und großen Desastern des Familienalltags, Schlafentzug oder Spielplatzstress – allerdings immer so, dass man einmal durchatmen kann und vor allem herzhaft lachen darf. Entweder über Lucie oder über sich selbst, oder beides, weil sie sich so ähnlich sind.
Hier geht's zur Audio-Version der Kolumne, gelesen von Autorin Tanya Neufeldt:
Kann man diese Pisa-Leute töten?
Ich hab’s gewagt. Ich bin am Dienstagabend zu dem Familienpsycho-Guru Jesper Juul ins Babylon Kino in Berlin Mitte gegangen. Wenn der mir schon gedanklich ständig im Nacken hängt, dann wollte ich ihn mir mal live und in Farbe ansehen.
Das Foyer ist voll. Hinter der Kasse sitzt ein Türke, der mich sehr an den Türsteher aus der Ankerklause erinnert. Zwischen den Tickets, die er ausdruckt, bestellt er online beim Chinesen um die Ecke.
Die Kleidung der Gäste variiert farbenmäßig von Weinrot bis zu Grüntönen aller Art. Vor allem aber dieses ganz spezielle Orange, das man hauptsächlich in indischen Restaurants als Tischdeckenfarbe findet, leuchtet unter den Wendejacken hervor.
Altersmäßig ist alles dabei: Anfang Zwanzig (schlau, die fangen schon mal früh mit der Vorbereitung an) und 30 bis 40jährige (mittlerweile völlig verwirrt und auf der Suche nach der ultimativen Lösung zum Thema Kindererziehung, wie ich auch).
Und dann die Omas, die wahrscheinlich da sind, um dahinter zu kommen, warum unsere Generation so an den Lippen eines Jesper Juul hängt. Ich sehe auch ein paar Schwangere (Sind die wahnsinnig sich jetzt mit dem Stressthema Kita/Schule auseinanderzusetzen? Das kann zu Frühgeburten führen…!).
Um die Wartezeit bis zum Einlass zu überbrücken, lesen einige: darunter „Das Enneagramm“ und „Mein inneres Kind“. Zugegeben, ich habe so was früher auch gelesen. Als Sekundärliteratur zu meinen Yoga-Retreats. Aber heimlich. Zu Hause unter der Decke mit Taschenlampe, so dass ich es fast geschafft habe, es vor mir selber zu verheimlichen.
Der Abend plätschert vor sich hin
Was soll auch sein? Es sind sich alle einig, dass das Betreuungsangebot in Hundepensionen meistens besser ist als in unseren Kitas und Schulen. Kurz vor der Pause beschweren sich vier Damen älteren Kalibers lauthals über den „Scheißabend“. Wollen sich aber nicht weiter äußern, was genau fehlt.
Nach der Pause dürfen Fragen gestellt werden. Ein paar richtige Fragen werden tatsächlich gestellt, aber 80 Prozent verstehen diese Möglichkeit als Aufforderung, das bereits Gesagte nochmals in eigenen Worten zusammenzufassen. Gerne wird auch darüber sinniert, woher das Defizit in unserem Bildungssystem rührt, wie zum Beispiel: „Das liegt daran, dass unsere Schulen noch von den Nazis geprägt sind.“ Irgendwie ja auch ganz praktisch, dass man die Verantwortung immer noch auf die Nazis abwälzen kann.
„Entdecke deine inneren Gefühle, sonst kannst du die Gefühlen eines anderen nicht verstehen.“
Sehr bezaubernd allerdings war eine alte Dame, die sich als ehemalige Erzieherin outete und leidenschaftlich Jesper Juul’s Aufruf wiederholte: „Entdecke deine inneren Gefühle, sonst kannst du die Gefühlen eines anderen nicht verstehen.“ Die Dame war mal wieder ein Beispiel dafür, dass diese Frührente totaler Quark ist.
Eigentlich bin ich natürlich hingegangen, weil ich mir klammheimlich erhofft hatte, dass ich von Jesper Juul ein Werkzeug in die Hand bekomme, das mir die Erziehung von Sam 100 Prozent erleichtert, wenn nicht irgendwie sogar abnimmt (Ja, ja, ich weiß, aber manchmal hat man doch diese abstrusen Hoffnungen…)
Aber das Schlimme ist, dass er auf jede Frage, die in diese Richtung zielt salomonisch antwortet mit: „Das kann man so nicht beantworten. Es gibt nicht für alle DIE eine Lösung.“ Verflucht, der verlangt tatsächlich Eigenverantwortung. Panik steigt in mir auf. Ich hatte irgendwie gehofft, ich hole mir hier mehr Fleißkärtchen ab. Aber er spielt den Ball zurück.
„Das kann man so nicht beantworten. Es gibt nicht für alle DIE eine Lösung.“
Und wenn es um die Änderung des Bildungssystems geht, nimmt er alle in die Pflicht. Oh, nein. Also, doch auf die Straße gehen? Das letzte Mal war ich mit zehn Jahren auf einer Demo mit meinen Eltern: „Petting statt Pershing“ und ich mit Friedenstaube im Gesicht. Sind unsere Wochenenden auf der Couch mit Kaffee und Mickey Mouse auf dem iPad gezählt? Aber wer geht zuerst los?
Alles in allem
Zwei Zitate von dem dicken Dänen bleiben mir im Ohr: „Kann man diese Pisa-Leute töten?“ und „Wir brauchen keine neuen Gebäude, wir können morgen anfangen, es anders zu machen.“ Warum tut das nur niemand? Ich bin verwirrter als je zuvor und hangel mich weiter von Tag zu Tag.
P.S.1
Wer mehr über Jesper Juul & den Abend erfahren möchte, kann im Blog Pisa Versteher von Christian Füller nachlesen.
P.S. 2
Habe Sam heute morgen noch ein allerletztes Mal gefragt, ob Mara aus der Kita nicht doch zu seinem Geburtstag kommen darf. Antwort: „Leider nein, Mama. Mara habe gestern in Kita eingepullert.“ Wow, der hat aber auch ´ne harte Tür.